Warum es in der Debatte um afrikanische Sprachen in Bildung und Literatur auch um den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit geht, erklärt Dainess Maganda.
Die zwei großen afrikanischen Schriftsteller Ngũgĩ wa Thiong’o und Chinua Achebe stehen stellvertretend für eine Debatte, die in Afrika schon seit langer Zeit geführt wird. Während die einen dafür plädieren, afrikanische Sprachen zu verwenden, um das Denken zu dekolonisieren, sehen die anderen dies als nicht praktikabel an und setzen weiterhin auf die früheren Kolonialsprachen.
Ende September des Vorjahres fand eine Konferenz statt, die einige AkademikerInnen aus aller Welt organisiert hatten, die an Universitäten zu afrikanischen Sprachen, Linguistik und Literatur arbeiten. Mehrere von ihnen reagierten ziemlich frustriert auf einen Professor, der sagte: „Wenn gute Jobs weiterhin jene begünstigen, die Englisch sprechen, können wir es vergessen, uns für afrikanische Sprachen einzusetzen.”
Die Aussage dient als guter Ausgangspunkt, um die fortlaufende Debatte zu ergründen, die sich um die Verwendung der europäischen Sprachen in Wissenschaft und Literatur des modernen, unabhängigen Afrika dreht.
Eine alte Frage. Die Debatte begann vor langer Zeit, doch waren es in den 1970er Jahren zwei der kreativsten englischsprachigen Schriftsteller des Kontinents, die sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machten: Ngũgĩ wa Thiong’o aus Kenia und Chinua Achebe aus Nigeria.
Um den Kern dieser Diskussion zu würdigen, muss man verstehen, dass viele afrikanische Länder zu dieser Zeit aus der kolonialen Kontrolle ausbrachen und versuchten, mehr Freiheit zu erlangen. Europäische Sprachen nahmen in der Kommunikation zwischen afrikanischen Nationen sowie zwischen Afrika und dem Rest der Welt auch nach der Unabhängigkeit eine wichtige Position ein. Die Verwendung europäischer Sprachen missachtete aber das Bedürfnis der Menschen, ihre eigenen Gedanken ausdrücken zu können, und hinderte die meisten BürgerInnen daran, am Aufbau ihrer neuen, souveränen Nationen mitzuwirken.
Gegen koloniale Knechtschaft. Bis heute bestehen in der Debatte zwei Kernpositionen. Die eine verteidigt die Verwendung afrikanischer Sprachen im Bildungsbereich und in der Literatur. Diese Position vertreten viele Nichtregierungsorganisationen, die sich für eine bessere Qualität der Bildung in Afrika einsetzen. Die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) und die Association for the Development of Education in Africa (ADEA) veröffentlichten im Jahr 2010 beispielsweise ein gemeinsames Paper unter dem Titel „Why and how Africa should invest in African languages and multilingual education“. Darin riefen sie Afrika dazu auf, in seine Sprachen zu investieren, um die Armut zu bekämpfen und das kulturelle Leben zu fördern.
In Tansania etwa argumentiert die Organisation Haki Elimu damit, dass tansanische SchülerInnen und Studierende besser abschneiden, wenn sie, anstatt in einer Fremdsprache, in Swahili lernen. 2015 entschied die Regierung daraufhin, nicht nur in den ersten Klassen, sondern auch auf den Oberschulen Swahili als Unterrichtssprache zu verwenden.
Analog dazu argumentiert der literarische Strang der Debatte gegen die Beibehaltung der kolonialen Strukturen in Massenmedien, Kommunikation, wissenschaftlicher Literatur und Belletristik, um das afrikanische Denken zu dekolonisieren.
Für Ngũgĩ wa Thiong’o sind koloniale Sprachen Teil eines Systems, das die freie Entfaltung afrikanischen Denkens unterdrückt. Er fragte sich, wie AfrikanerInnen wirklich frei sein könnten, wenn die Hauptfundamente ihres Seins und ihrer Wirklichkeit weiterhin fremdbestimmt wären. In afrikanischen Sprachen zu schreiben stellte für ihn einen entscheidenden Schritt dar, um sich aus kolonialer Knechtschaft zu lösen.
Für leichten Marktzugang. Die Gegenposition dazu setzt sich dafür ein, in der breiteren Kommunikation hauptsächlich Sprachen wie Englisch oder Französisch zu verwenden. Dadurch bekämen die afrikanischen Länder unter anderem leichter Zugang zum globalen Markt. Tatsächlich schrieb auch Ngũgĩ wa Thiong’o zunächst in der kolonialen Sprache Englisch. Seine Entscheidung, nur noch auf Gĩkũyũ zu schreiben, konfrontierte ihn mit der düsteren Wirklichkeit einer sehr begrenzten Leserschaft in dieser Sprache.
Aus ebendiesem Grund trieb Chinua Achebe die Verwendung des Englischen voran. Er befürchtete, die AfrikanerInnen könnten ihre Wirklichkeit vor der Welt verstecken, indem sie in lokalen Sprachen schrieben. Sie wären nicht mehr in der Lage, die Kämpfe zu führen und zu gewinnen, die ausgefochten werden müssen.
Schwierige Umsetzung. Die beiden prominenten Positionen sind jeweils einfach nachzuvollziehen, aber schwierig umzusetzen. Niemand kann darüber hinwegsehen, dass man in den meisten afrikanischen Ländern mehr als nur eine Sprache spricht.
In Tansania zum Beispiel sind es etwa 120; welche davon soll also in der Schule verwendet werden? Anstatt eine der lokalen Sprachen auszuwählen, entschied sich Tansania für das Swahili, die weit verbreitete Verkehrssprache Ostafrikas.
Die meisten afrikanischen Länder verfügen allerdings nicht über den Luxus einer solchen Verkehrssprache. Die Reichweite von Sprachpolitik ist zudem begrenzt, wenn die Menschen sie nicht in der Praxis umsetzen. In Tansania oder Kenia schießen englischsprachige Schulen wie Pilze aus dem Boden. In Südafrika sind im Bildungssystem offiziell elf Sprachen erlaubt, doch auf den Oberschulen wird bis heute Afrikaans verwendet.
Einige Fragen innerhalb der Debatte suchen noch immer nach tragfähigen Antworten: Wie könnten afrikanische Länder sicherstellen, dass sie für alle ihre Sprachen LehrerInnen haben? Auf welche Weise könnte Afrika gleichzeitig die Verwendung der eigenen Sprachen stärken und die Menschen dazu bringen, Sprachen zur erweiterten Kommunikation zu erlernen?
Kontinuierlicher Dialog. Indem sie auf Englisch schreiben, konnten sich einige afrikanische SchriftstellerInnen im Literaturbetrieb etablieren. Dies ermöglicht es der Welt, auf einzigartige und besondere Weise etwas aus und über Afrika zu erfahren. Chimamanda Ngozi Adichie beispielsweise schildert in ihrem Buch „Americanah” die täglichen Kämpfe einer Afrikanerin in den USA. Ihre Charaktere klären die Welt und AfrikanerInnen gleichermaßen über die Wirklichkeit Afrikas auf – in der Sprache der einstigen KolonisatorInnen.
Trägt Chimamanda Ngozi Adichie also dazu bei, das afrikanische Denken zu dekolonisieren, indem sie anderen AfrikanerInnen durch die Verleihung einer einzigartigen literarischen Stimme zeigt, dass ihre Identität eine Rolle spielt?
Oder nimmt sie afrikanischen Stimmen das Recht und Privileg, in ihrem eigenen Herzschlag gehört zu werden, weil sie nicht auf Yoruba, Hausa oder in einer anderen afrikanischen Sprache schreibt?
Die Debatte dreht sich also um viel mehr als nur um die Frage der Kommunikation. Sie ist ein kontinuierlicher Dialog unter AfrikanerInnen, aber auch zwischen Afrika und der übrigen Welt, eine Rückbesinnung auf die Geschichte, ohne die historischen Fortschritte zu leugnen. Es geht um die Perspektive, die AfrikanerInnen dazu aufruft, sich als AgentInnen ihres eigenen Schicksals zu sehen, während sie mit den Wirklichkeiten ringen, die ihren Willen einschränken.
Dainess Maganda leitet das African Languages, Literatures and Culture Program an der University of Georgia, USA. 2017 ist das von ihr herausgegebene Buch „The Language of Literature and the Literature of Language in Africa and the Diaspora“ bei Adonis & Abbey Publishers in Nigeria erschienen.
Aus dem Englischen von Tobias Lambert.
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